Alltagsgeschichten: Gebet und es wird euch gegeben

Alltagsgeschichten: Gebet und es wird euch gegeben

… oder über 10 Euro, 5 Zigaretten und 1 Paar goldene Ohrringe.

Der Posttitel ist mein, Res, persönliches Mantra und ich verwende es andauernd; sei es beim Trinkgeld geben, bei Geschenken, beim Münzverteilen an Obdachlose… Während unseres Sommerurlaubes 2014 an der Côte d’Azur, wimmelte es von Letzteren und schnell war meinen drei Mitreisenden klar, dass sie mir jeweils ihre gesamten Münzen überlassen sollten, wenn sie einigermassen zügig von A nach B kommen wollten, da ich jedes Mal, wenn ich nach Münzen gefragt wurde, stehen blieb und verzweifelt in meiner Handtasche danach suchte.
Diese Macke (wenn man das so nennen kann…) hab ich schon immer und sie scheint nicht heilbar: Ich weiss, dass nicht alle, die um Geld bitten, Essen damit kaufen. Ich weiss aber auch, dass einige von ihnen Arbeit suchen und so Geld verdienen könnten. Ja, ich weiss, dass ich damit wohl kein Stückchen dieser Welt ändere oder nur ein kleines. Und dennoch kann ich nicht anders.
Hinzu kommt, dass mich einige der Obdachlosen teilweise tiefer berühren als andere (wieso auch immer) und ich mir dann den Kopf zerbreche, wie ich noch mehr helfen könnte – was spontan jedoch jeweils kaum machbar ist.
In Nizza klopfte am ersten Morgen unserer Ferien ein Obdachloser an meine Autoscheibe, als mein Mann bei einem Rotlicht anhalten musste. Ich wusste, dass ich keine Münzen, sondern nur Scheine im Portemonnaie hatte, fand den Mann ziemlich suspekt und wollte daher nicht mal das Fenster öffnen. Der schrullige alte Mann, der locker der Enkel von Indiana Jones und dem Weihnachtsmann persönlich hätte sein können, klopfte unbeirrt weiter. So liess ich das Fenster etwas runter, um ihm zu erklären, dass wir leider, leider kein Geld hätten. Er zeigte auf meine Zigarettenschachtel und bat mich um eine. Erleichtert reichte ich ihm also eine Zigarette und wir fuhren weiter.
Nächster morgen selbe Ampel, selbe Szene. Dieses Mal hatten wir allerdings Münzen dabei, so dass der alte Mann einige Münzen und zwei Zigaretten erhielt.
Über mich selbst verärgert, dass wir in solchen Situationen jeweils so geizig sind, nahm ich mir fest vor, ihm beim nächsten Mal einen Zehn-Euro-Schein in die Hand zu drücken. Nur sahen wir ihn nicht mehr. Er war weg, bzw. wir jeweils zu spät dran oder mitten in einer grünen Welle…
Am letzten Tag wollte ich es jedoch nochmals versuchen und hielt den Euro-Schein und fünf Zigaretten bereit. Ausserdem wies ich meinen Mann an, so oder so anzuhalten.
Es wurde rot und da stand er: Mit verknotetem Hemd und Safarihut in einer Ecke stehend, sein Hund im Schatten neben ihm liegend, zu uns rüber schauend. Ich rief ihm und streckte ihm Schein und Zigis hin – und da geschah etwas, womit ich nie im Leben gerechnet hätte!
Der alte Mann nahm beides an sich, trottete neben unserem rollenden Wagen zu meinem Fenster, kramte sein Portemonnaie hervor und holte ein Paar goldene Ohrringe hervor, die er mir hinstreckte. Ich erklärte ihm, dass alles in Ordnung sei und er mir seine Ohrringe dafür bestimmt nicht geben sollte, doch er bestand darauf, strich mir mit dem Finger über die Wange, bedankte sich herzlich und lief davon.

*Dieser Beitrag erschien in ähnlicher Form bereits auf Res altem Blog.

Ich kann bis heute kaum glauben, dass das passiert ist und bin noch immer tief gerührt (und ab mir selbst genervt, dass ich so geizig war). Es spielt keine Rolle, ob die Ohrringe echt oder falsch sind, ob er sie geerbt, gekauft oder im Müll gefunden hat – dieser Augenblick war einfach wundervoll.
«Gebet, und es wird euch gegeben!» waren die ersten Worte meines Liebsten, nachdem wir uns wieder einigermassen gefasst hatten…

R&(L)

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